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Abgekühlt: Zwischen Wirtschaft und Regierung fröstelt es

München, 29.02.2008 17:41 Uhr (redaktion)

Nach einer scharfen Distanzierung der großen Verbände von Steuerhinterziehern am Freitag sind sich Wirtschaft und Politik aber einig, dass Unternehmer und Top-Manager einer moralischen Vorbildfunktion genügen müssen.

Beim traditionellen Spitzengespräch der Kanzlerin am Rande der Internationalen Handwerksmesse in München mit den Chefs der vier Spitzenverbände BDI, BDA, DIHK und Handwerksverband ZDH machte Merkel deutlich, dass sie für Steuerentlastungen derzeit keinen Raum sehe. Auch der Forderung von Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt, die Gesetzespläne von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz für branchenspezifische Mindestlöhne zurückzuziehen, will Merkel trotz Zurückhaltung bei diesem Thema nicht nachkommen. Die Wirtschaft warf der Regierung in einer gemeinsamen Erklärung mangelnden Reformwillen angesichts immer schwächer werdenden Wachstumsperspektiven vor. BDI-Präsident Jürgen Thumann sprach von Reform-Stillstand und gefährlichen Experimenten.

Angesichts heftiger Kritik an den wirtschaftlichen Eliten im Zuge der Steuerhinterziehungsaffäre, wegen Spitzeneinkommen und -abfindungen sowie Entlassungen in großen Konzernen trotz hoher Gewinne bekannte sich die Wirtschaft zur Verantwortung für das Gemeinwohl. Dazu gehöre das persönliche bürgerschaftliche Engagement der Unternehmer. "Ihr Vorbild ist eine wichtige Grundlage für das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft", hieß es in der Erklärung. Bürger und Politik erwarteten zu Recht Verantwortungsbereitschaft.

Nachdrücklich distanzierte sich BDI-Chef Jürgen Thumann im Namen der vier Verbände von Steuerhinterziehern in den Reihen von Managern und Unternehmern. "Wer gegen die Regeln verstößt, wer gegen die Gesetze verstößt, stellt sich gegen die Wirtschaft, stellt sich gegen die Gesellschaft." Der habe keinen Anspruch auf Unterstützung. "Der gehört nicht mehr dazu." Was jüngst bekanntgeworden sei, sei "verheerend" für das Modell der Sozialen Marktwirtschaft. Allerdings dürfe man die Wirtschaft nicht insgesamt unter Generalverdacht stellen. Merkel lobte die Verbände für ihre Positionierung. Das Gesellschaftsmodell der Sozialen Marktwirtschaft dürfe nicht beschädigt werden.

"Erhebliche Sorge" äußerten BDA, BDI, DIHK und ZDH über schlechtere Wachstumsperspektiven und fehlende Wachstumsimpulse aus dem Inland. Dem müsse mit Anstrengungen der Unternehmen, vor allem mit politischen Reformen begegnet werden. "Umso unverständlicher ist, wenn gerade jetzt erfolgreiche Reformen zurückgenommen und wichtige Reformansätze nicht unternommen werden", hieß es in der Erklärung. Besonders heftig kritisierten sie die Pläne für gesetzliche Mindestlöhne, die Arbeitsplätze bedrohten und die Tarifautonomie gefährdeten. Sie seien unsozial. Zudem seien steuerliche Entlastungen nötig. Dem Bürger müsse netto mehr im Portemonnaie bleiben. Es gehe um höheren steuerliche Freibeträge, die Abflachung der Progression im Einkommensteuertarif und den Abbau des Solidaritätszuschlags.

Zu den Forderungen in der Steuerpolitik merkte Merkel an, mittel- und langfristig gesehen liege man nahe beieinander. Sie stellte aber auch klar: "Ich sehe im Augenblick keinen Raum für steuerliche Entlastungen." Sollte sich dennoch Spielräume eröffnen, werde man die nutzen, um die Lohnzusatzkosten weiter zu senken und gegebenenfalls etwas für die "Leistungsträger" zu tun. "Konkrete Versprechungen zum jetzigen Zeitpunkt, kann ich nicht machen." Zunächst sollte man die Mai-Steuerschätzung abwarten. Wahrscheinlich aber würden die Haushaltsberatungen dieses Jahr schwieriger als zuletzt, sagte die Kanzlerin.

Forderungen der Wirtschaft, von den Mindestlohn-Plänen von Bundesarbeitsminister Scholz Abstand zu nehmen, wollte sie nicht folgen. Wenn etwa Arbeitgeberpräsident Dieter Hund sich das Mindestarbeitsbedingungengesetz für tarifvertraglich wenig erschlossene Bereiche im Papierkorb wünsche, so sehe sie das anders. Merkel äußerte allerdings Vorbehalte, die Zeitarbeit in das Entsendegesetz aufzunehmen und damit auch für diesen Bereich mit relativ hoher Tarifbindung einen Mindestlohn einzuführen.

(reuters)

 

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