Köln, 29.02.2008 10:49 Uhr (redaktion)
Die jungen EU-Mitglieder Mittel- und Osteuropas haben in den vergangenen Jahren verstärkt ausländische Unternehmensinvestitionen angezogen – nicht zuletzt aufgrund der niedrigen Arbeitskosten. Doch mit wachsendem Wohlstand verringert sich dieser Kostenvorteil zusehends.
Außerdem sind trotz aller wirtschaftlicher Dynamik strukturelle Probleme nicht zu übersehen – etwa die vielerorts defizitären Staatshaushalte.
Neue Nahrung für alte Ängste – der Fall Nokia hat jene Skeptiker bestärkt, die dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten zur Europäischen Union in den vergangenen Jahren wenig Positives abgewinnen konnten. Die größte Sorge war und ist, dass die EU-Neulinge immer mehr hiesige Unternehmen anziehen und dementsprechend in Deutschland Arbeitsplätze vernichtet würden.
In der Tat haben die Standorte zwischen Tallinn und Nikosia auf ausländische Firmen in den vergangenen Jahren eine erhebliche Anziehungskraft ausgeübt:
Gemessen an der Bevölkerungsgröße waren allerdings die kleinen Inseln Malta und Zypern die Kapitalmagneten – in dortige Tochterbetriebe oder neue Niederlassungen steckten ausländische Unternehmen seit dem Jahr 2000 jeweils etwa 10.000 Dollar je Einwohner.
Mit den hohen Direktinvestitionen ist jedoch in den Ursprungsländern nicht zwangsläufig ein Arbeitsplatzabbau in großem Stil verbunden. Deutsche Unternehmen etwa zählten im Jahr 2004 an ihren mittel- und osteuropäischen Standorten mehr als 750.000 Beschäftigte. Doch nur 120.000 Stellen waren aus Kostengründen in diese Länder verlagert worden.
Dennoch dürften die niedrigen Arbeitskosten ein wesentliches Argument für die Firmen sein, in den jungen EU-Staaten zu investieren. Schließlich kostete die Arbeitnehmerstunde in der Industrie 2006 lediglich in Slowenien mehr als 10 Euro; in den anderen mittel- und osteuropäischen Regionen war die Summe aus Stundenlohn und Personalzusatzkosten zum Teil deutlich geringer. Dagegen mussten die Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes hierzulande zuletzt Arbeitskosten von mehr als 32 Euro je Stunde schultern.
Allerdings schrumpft dieser Vorteil der jungen EU-Staaten zusehends – in der Slowakei, in Tschechien, in Estland und in Rumänien etwa nahmen die Arbeitskosten seit dem Jahr 2000 um mehr als 80 Prozent zu – in Deutschland demgegenüber nur um gut 14 Prozent. Hinter dieser Entwicklung steckt nicht zuletzt die gestiegene Nachfrage nach Arbeitskräften. Diese wiederum ist eine Folge der hohen wirtschaftlichen Dynamik, die die EU-Neueinsteiger aufweisen:
Die Staaten des Euroraums – zu denen bis zum Jahr 2006 nur alteingesessene EU-Länder zählten – verzeichneten in diesem Zeitraum lediglich ein BIP-Plus von 29 Prozent. Die gesamte Performance der mittel- und osteuropäischen Staatenriege wird dabei vor allem vom wirtschaftlichen Schwergewicht jenseits der Oder geprägt. Polen steuerte im vergangenen Jahr gut 36 Prozent zum gesamten BIP der zwölf Neulinge in der Europäischen Union bei. Dahinter folgten Tschechien und Rumänien mit 15 bzw. 14 Prozent.
Die Wachstumsmeister der zurückliegenden Jahre waren aber die kleinen baltischen Staaten – mit Lettland an der Spitze, dessen Wirtschaft zwischen 2000 und 2007 im Jahresmittel real um 9 Prozent expandierte.
Durch das hohe konjunkturelle Tempo übertreffen einige mittel- und osteuropäische Länder mittlerweile das Wohlstandsniveau mancher westlicher Staaten: Das Bruttoinlandsprodukt Zyperns, Sloweniens und Tschechiens lag, je Einwohner gerechnet, im vergangenen Jahr bereits über demjenigen Portugals als Schlusslicht der alten EU-15.
Die stolzen Wachstumsraten Mittel- und Osteuropas ändern jedoch nichts daran, dass einige dieser Länder noch eine Reihe von wirtschaftspolitischen Hausaufgaben zu erledigen haben. Die großen drei liefern hier gute Beispiele:
Polen. Der Sieg der Liberalen bei den Parlamentswahlen im vergangenen Herbst wurde in vielen Teilen Europas vor allem aus politischen Gründen begrüßt. Die Polen selbst hoffen allerdings auch auf frischen wirtschaftlichen Wind. Zwar legte das BIP in realer Rechnung zwischen 2000 und 2007 jahresdurchschnittlich um 4 Prozent zu, doch blieb das Land damit unter dem Mittel der zwölf jungen EU-Staaten von 4,7 Prozent.
Gebremst wird das Wachstum vor allem durch strukturelle Probleme. So hat es Warschau bislang nicht geschafft, in den ländlichen Gebieten für ausreichend Jobs zu sorgen. Entsprechend erreichen die Arbeitslosenquoten dort bis zu 17 Prozent, während die Unternehmen in den städtischen Boomregionen oft vergeblich nach qualifizierten Arbeitskräften suchen. Der polnische Staat hat relativ wenig finanziellen Spielraum, hier gegenzusteuern – schreibt der öffentliche Haushalt doch tiefrote Zahlen. Trotz eines leichten Aufwärtstrends gab es 2007 ein Budgetdefizit von 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Für 2008 rechnen Konjunkturforscher sogar wieder mit einer Neuverschuldung von 3,2 BIP-Prozenten.
Tschechien. Ähnliche Sorgen plagen die Regierung in Prag. Auf der einen Seite kann Ministerpräsident Mirek Topolánek auf den gestiegenen Wohlstand verweisen – die Wirtschaftsleistung je Einwohner erreichte im vergangenen Jahr bereits etwa drei Viertel des deutschen Niveaus. Vor allem die florierenden Investitionen und der rege private Konsum heizen die Konjunktur an; zudem haben die Exportsteigerungen die Handelsbilanz leicht ins Plus gehievt. Nicht zuletzt profitieren die Tschechen vom Kapital, das Unternehmen aus anderen Staaten an der Moldau angelegt haben:
Der Bestand an ausländischen Direktinvestitionen hat mittlerweile ein Volumen von umgerechnet 55 Prozent des tschechischen BIP.
All diese positiven Einflüsse haben die Arbeitslosenquote im Landesschnitt auf unter 7 Prozent gedrückt. Doch wie bei den polnischen Nachbarn sind vor allem dort, wo sich ausländische Firmen niedergelassen haben, gut ausgebildete Mitarbeiter knapp – so beläuft sich die Arbeitslosenquote in der Region Prag auf gerade einmal 2,8 Prozent. Dagegen sind auf dem Land bis zu 14 Prozent der Erwerbsbevölkerung ohne Job.
Und auch in Sachen Staatsfinanzen ist nicht alles im Lot – im Jahr 2007 belief sich das Haushaltsminus auf fast 4 Prozent des BIP. Dennoch hat die tschechische Führung ihren Bürgern in diesem Jahr eine Steuerreform beschert, die Einkommen nur noch zu einem einheitlichen Satz von 15 Prozent besteuert – wenn auch auf einer verbreiterten Bemessungsgrundlage.
Rumänien. Zusammen mit dem angrenzenden Bulgarien bildet der südosteuropäische Staat das Armenhaus der EU – mit einer Pro-Kopf-Wirtschaftskraft von nur einem Drittel des deutschen Werts. Doch die Wachstumsraten der vergangenen Jahre stimmen optimistisch, und auch die Inflation ist auf dem Rückzug – die Preissteigerungsrate sank von etwa 40 Prozent zur Jahrtausendwende auf 4 Prozent im vergangenen Jahr.
Für Wohlstandsnahrung sorgt zum einen der breite Strom an Importgütern:
Von 2000 bis 2006 stiegen die rumänischen Einfuhren von Waren und Dienstleistungen im jährlichen Schnitt um 18 Prozent. Die Exporte kletterten demgegenüber „nur“ um knapp 12 Prozent pro Jahr.
Zum anderen haben zahlreiche ausländische Investoren in den vergangenen Jahren kräftig in Rumänien investiert – Nokia ist also hier keineswegs Vorreiter. Die Unternehmen haben allerdings mit der vielfach kritisierten Korruption zu kämpfen. Auch braucht das Land weitere erhebliche Investitionen in die Infrastruktur, um auf Dauer wettbewerbsfähige Standortbedingungen bieten zu können.
Quellenangabe: IW-Köln
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