Zürich/Frankfurt a.Main, 29.07.2019 15:27 Uhr (Mark Hatwin)
Im Zuge der disruptiven Entwicklung im Technologiesektor birgt der relativ neue Bereich Transport als Dienstleistung oder Transport as a Service (TaaS) ein enormes Potenzial für Investoren. Verlierer sind Automobilkonzerne und die Ölindustrie.
Sobald der Umstieg vom Privatauto zum Carsharing mit Effizienzvorteilen richtig in Gang kommt, wird sich schnell zeigen, welche Unternehmen und Sektoren die Gewinner bzw. Verlierer dieser Entwicklung sind.
In der Wirtschaft vollzieht sich derzeit ein rapider Wandel. Herkömmliche Geschäftsmodelle werden durch eine rasant um sich greifende "Plattform-Epidemie" gigantischen Ausmaßes über den Haufen geworfen. Ein einfaches, aber eindrucksvolles Beispiel hierfür ist die Tatsache, dass das mittlerweile größte Taxiunternehmen der Welt, Uber, selbst keine Fahrzeuge besitzt. Allein der Markt für Fahrgemeinschaften könnte sich zu einer Größe von 5 Billionen US-Dollar entwickeln und ist Teil eines größeren Themas, das unseres Erachtens zukünftig zu einem der schnellsten, tief greifendsten und folgenreichsten Disruptoren werden könnte: Transport als Dienstleistung (TaaS).
TaaS befindet sich an der Schnittstelle von vier Makrotrends: autonome Fahrzeuge, Elektrofahrzeuge, Vernetzung und die kleinteilige Gig-Wirtschaft, bei der selbstständige Freiberufler kleine Aufträge ausführen. Es beinhaltet die Abkehr vom herkömmlichen Transportmodell des eigenen Autos hin zu Mobilitätslösungen als Dienstleistung. Schätzungen zufolge wird der Umstieg der Konsumenten auf das TaaS-Mobilitätsmodell dazu führen, dass sich der Bestand an angemeldeten Fahrzeugen in den USA von 247 Millionen im Jahr 2020 innerhalb der folgenden zehn Jahre auf 44 Millionen verringert. Aus Daten des US-Verkehrsministeriums, die von RethinkX im Jahr 2017 in einem Bericht unter dem Titel Rethink Transportation verwendet wurden, geht hervor, dass bereits im Jahr 2025 mehr Kilometer über TaaS zurückgelegt werden könnten als mit Privatautos. Bis 2030 könnte jeder der prognostizierten sechs Billionen Personenkilometer auf TaaS-Basis gefahren werden.
Laut diesen Prognosen wird es nicht nur eine Abkehr vom Privatauto geben, dessen Besitz und Betrieb außerordentlich unwirtschaftlich ist. Darüber hinaus werden die Fahrzeuge wesentlich besser ausgelastet sein und die Zahl der tatsächlich gefahrenen Personenkilometer wird von vier Billionen im Jahr 2015, auf sechs Billionen im Jahr 2020 steigen. Aufgrund der erheblich besseren Auslastung werden sich die Kosten für diese Kilometerleistung deutlich verringern. Dies stellt eine fundamentale Veränderung dar. Denn das bedeutet zum Beispiel, dass viele unserer Kinder kein eigenes Auto mehr besitzen werden und möglicherweise nicht einmal mehr einen Führerschein. Einige Berichte prognostizieren, dass die Regulierungsbehörden bereits 2021 autonome Fahrzeuge für den Einsatz im öffentlichen Verkehr zulassen werden.
Mitfahr- und Carsharing-Unternehmen wie Uber und Lyft haben den bestehenden Modellen aktiv Marktanteile abgenommen und sich schnell als fester Bestandteil des täglichen Lebens etabliert. Mittlerweile wird Uber in der englischen Sprache sogar häufig als Verb benutzt. Trotz ihrer zunehmenden Bedeutung wird vermutlich keines der beiden Unternehmen auf absehbare Zeit Gewinne erzielen und die Wertentwicklung seit ihren Börsengängen verlief bislang enttäuschend. Es ist noch unklar, wie sich das Umfeld weiter entwickeln wird und ob sich ein Markt bilden wird, an dem sich ein Sieger den Löwenanteil sichert. Ein Aspekt, der vorsichtig stimmen sollte, ist die Tatsache, dass die Bewertungen dieser und anderer Unternehmen im Technologiesektor häufig übermäßig hoch sind. Die genannten Börsengänge haben die Marktteilnehmer sicherlich daran erinnert, dass alle Vermögenswerte letztlich einer Überprüfung ihres inneren Werts standhalten müssen und es sich bei den hochkarätigen Unternehmen zu Beginn einer disruptiven Phase nicht unbedingt um die endgültigen Sieger handeln muss.
TIPP: Publikation Chancen für Mobility-as-a-Service-Geschäftsmodelle der Bitkom e.V. (externer Link).
Die Lebensmittelzustellung ist ein Bereich, in dem zum Beispiel Amazon seine Geschäftstätigkeit erweitert. Nachdem das Unternehmen 2017 bereits Whole Foods kaufte, um in die US-Lebensmittelbranche einzusteigen, führt Amazon derzeit eine Finanzierungsrunde in Höhe von 575 Millionen US-Dollar für sein Engagement beim Online-Essenslieferdienst Deliveroo durch. Diese Investition könnte den Markt für Lebensmittel-Lieferdienste in den 14 Ländern, in denen Deliveroo aktiv ist, durcheinanderwirbeln und dem Unternehmen genügend liquide Mittel verschaffen, um mit Wettbewerbern wie Uber Eats und dem britischen Lieferservice Just Eat zu konkurrieren. Diese drei Unternehmen liefern sich derzeit einen erbitterten Kampf um den britischen Markt für Lebensmittellieferungen. Analysten prognostizieren eine mögliche Integration der Dienstleistungsangebote von Amazon und Deliveroo. Damit könnten Benutzer ihre Essensbestellungen bei Deliveroo möglicherweise über die Echo-Geräte von Amazon aufgeben oder die Kuriere von Deliveroo könnten außer Lebensmitteln möglicherweise auch zusätzliche Pakete zustellen.
Außer Lebensmittel-Lieferdienste gibt es bisher nur wenige reine TaaS-Unternehmen am Markt. Uber und Lyft sind die bekanntesten Anbieter. Wir beurteilen diese jedoch auf kurze Sicht vorsichtig, da sie sich zunächst darum bemühen, ihr Geschäftsmodell zu etablieren. Andererseits bieten sich Chancen bei Zulieferern der TaaS-Branche wie Monolithic Power Systems in den USA und Infineon Technologies in Deutschland. Nach unserer Meinung werden sich im Bereich TaaS noch viele neue Chancen ergeben.
Wo es große disruptive Gewinner gibt, dürfte es entsprechend auch Verlierer geben. Nach unserer Ansicht werden die traditionellen Automobilkonzerne zu den größten Verlierern dieser Disruption zählen. Einigen Schätzungen zufolge könnte die US-Automobilindustrie von 570 Milliarden US-Dollar im Jahr 2015 auf 104 Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 schrumpfen – und der Gebrauchtwagenmarkt könnte völlig verschwinden. Die Ölindustrie ist ein weiterer Bereich, der das Nachsehen haben dürfte, da Autos mit Verbrennungsmotor durch Elektrofahrzeuge ersetzt werden. Durch den Umstieg auf autonome Fahrzeuge und TaaS könnten deren Umsatzerlöse drastisch einbrechen.
Wir sind davon überzeugt, dass dies die größte disruptive Veränderung sein könnte, die auf dem technologischen Gebiet bisher stattgefunden hat – sogar größer als die Auswirkungen von sozialen Netzwerken oder Smartphones. Angesichts des sehr breiten Spektrums des TaaS-Themas, das neben Fahrgemeinschaften auch Warentransporte, Auslieferungen, Lebensmittel und die Zustellung mit Drohnen sowie Personentransporte umfasst, könnte der TaaS-Markt insgesamt letztendlich eine Chance in einer Größenordnung von 8 Billionen US-Dollar darstellen, was 10 Prozent des globalen BIP entspräche. In den kommenden Monaten und Jahren werden wir gespannt verfolgen, wie sich TaaS entwickelt und welche Anlagechancen sich daraus ergeben.
(Autor: Mark Hawtin, Investment Director für Technologieaktien bei GAM Investments).
Disclaimer
Veröffentlichungen und Mitteilungen über Finanzprodukte und Kapitalmarktanalysen dienen der Informationsgebung, entweder durch Dritte oder durch eigene Beschreibungen. Die hier aufgeführten Äußerungen, Analysen und Produktbewertungen sind ausschließlich Meinungen und Ansichten des Herausgebers bzw. Produktgebers. FMM-Magazin.de führt keine Finanzberatung durch, ruft nicht zum Erwerb oder zum Verkauf von Anlageprodukten oder Wertpapieren auf und führt keine Rechtsberatung durch. Interessierte Anleger sollten sich grundsätzlich Emissions-/Produktprospekte genau anschauen. Die Aufsichtsbehörde für das Versicherungs- und Finanzwesen ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn.
» Zur Startseite von Finanzen Markt & Meinungen