Stuttgart, 05.06.2017 14:59 Uhr (Dr. Georg Kraus)
Beim Ernennen von Projektleitern achten Unternehmen oft primär auf deren fachliche Kompetenz. Sie übersehen häufig, dass ein Projektleiter noch viele andere Fähigkeiten und Fertigkeiten braucht, um ein anspruchsvolles Projekt zum Erfolg zu führen. Tipps von Berater im Mittelstand.
Herr Mayer arbeitete fünf Jahre in der Konstruktionsabteilung eines mittelständischen Maschinenbauunternehmens. Dann bot ihm sein Chef an, ein großes Industrie 4.0-Projekt zu leiten, das das Unternehmen fit für die Zukunft machen sollte - wegen seiner hervorragenden fachlichen Leistungen. Herr Mayer nahm das Angebot begeistert an. Doch schon nach wenigen Wochen stellte er ernüchtert fest: Ein bereichsübergreifendes Projekt zu leiten, erfordert nicht nur eine neue Arbeitsweise. Es verlangt von mir auch Fähigkeiten, die ich noch nicht habe.
Ähnliche Geschichten erzählen Projektleiter oft, wenn man sie nach ihrem Werdegang fragt - unabhängig von der Branche, in der sie tätig sind. Der Grund: Projektleiter werden häufig aufgrund ihrer hervorragenden fachlichen Leistungen auserkoren. Das ist an sich nicht falsch. Denn Projektleiter in der Industrie müssen auch technischen Sachverstand haben, damit sie die Richtigkeit und Qualität von Projektergebnissen prüfen können. Doch leider genügt fachliche Exzellenz allein meist nicht. Denn ein guter Projektleiter muss vier Rollen ausfüllen.
Rolle 1: Fachmann
Die fachlichen Anforderungen erfüllen die meisten Projekt-leiter. Sie sind in der Lage, technische sowie fachliche Details zu verstehen, zu bewerten oder auch selbst auszuar-beiten. Diese Feldkompetenz und Branchenkenntnis erleichtert einem Projektleiter die tägliche Arbeit enorm, da er Zusammenhänge schneller durchdringt, als ein „Fachfremder“.
Rolle 2: (Projekt-)Manager
Ein Projektleiter braucht auch methodisches Know-how. Genauer gesagt: Projektmanagementkompetenz. Deshalb schicken Unternehmen frischgebackene Projektleiter oft zu Projektmanagementweiterbildungen. Dies sind entweder interne Schulungen oder zertifizierte Seminare bei externen Dienstleistern. Die Projektleiter lernen dort das Instrumentarium zum Planen und Steuern von Projekten kennen. Unerlässlich ist das Beherrschen von Methoden, unter anderem für folgende Aufgaben:
• Ziel und Auftrag klären,
• Projektstrukturplan entwerfen,
• Aufwand schätzen,
• Terminplan erstellen,
• Ressourcen planen,
• Kosten kalkulieren und
• Risiko managen.
Rolle 3: Führungskraft
Projektleiter sind Führungskräfte. Die Praxis zeigt jedoch: Gerade den „weichen“ Themen wird in den Weiterbildungen wenig Beachtung geschenkt. Der Fokus liegt in ihnen in der Regel auf der Fach- und Methodenkompetenz. Ein Projektleiter muss aber auch ein Team führen. Zudem sollte er in der Lage sein, die sich teils widersprechenden Interessen von Kunden, Vorgesetzten, involvierten Abteilungen und den eigenen Projektmitarbeitern zu managen. Der Umgang mit den verschiedenen Stakeholdern eines Projektes erfordert ein hohes Maß an sozialer Kompetenz. Das wird in vielen Unternehmen beim Ernennen von Projektleitern nicht ausreichend berücksichtigt. Häufig wird dabei nach der Maxime verfahren: „Das lernt ‚der Müller’ (oder ‚die Mayer’) mit der Zeit schon von selbst.“ Doch diese (Lern-)Zeit kostet Geld, gerade in Projekten.
Denn Projektleiter stehen beim Wahrnehmen ihrer Aufgaben vor vielen komplexen Fragen sowie Herausforderungen, für die sie zumindest Lösungsansätze brauchen. Einige seien beispielhaft genannt.
Projektteam:
• Wie besetze ich mein Projektteam so, dass sich die Fähigkeiten der Mitarbeiter optimal ergänzen?
• Welche Phasen durchläuft ein neu formiertes Team, bevor es ein echtes Team bildet, und worauf muss ich in diesem Prozess als Führungskraft achten?
Stakeholder:
• Welche Stakeholder gibt es? Wie stehen diese zu dem Projekt und welche Handlungsstrategien sollte ich individuell anwenden?
• Wie gehe ich mit Widerständen von Mitarbeitern oder Kollegen um, die von den Auswirkungen des Projekts betroffen sind?
Konflikte:
• Wie erkenne ich Konflikte, aus denen Probleme erwachsen könnten, bereits in einer frühen Phase, sodass ein präventives Eingreifen möglich ist?
• Welche Handlungsoptionen habe ich, wenn ein Konflikt eskaliert?
Rolle 4: der Unternehmer
Projektleiter sind Unternehmer. Sie sind, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, „Geschäftsführer“ eines Projektes. Und genau wie die Führungsspitze eines Unternehmens müssen auch sie, die Budgets ihrer Projekte planen und wie geplant mit ihnen wirtschaften. Weitere unternehmerische Tätigkeiten eines Projektleiters sind: Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen durchführen, die Risiken des Projekts identifizieren und bewerten sowie Handlungsstrategien entwickeln. Zudem sollte ein Projektleiter sein Projekt mit „Marketingaktivitäten“ innerhalb (und gegebenenfalls außerhalb) des Unternehmens bekannt machen und „gut verkaufen“. Gerade in diesen Punkten besteht ein großer Nachholbedarf: Projektleiter mit der nötigen Unternehmerpersönlichkeit sowie der Fähigkeit, unternehmerisch zu handeln, sind eher die Ausnahme.
Unternehmen stehen vor der Herausforderung, Projektleiter entsprechend diesen Rollenanforderungen gezielt zu entwickeln. Hierfür gilt es, Trainingsprogramme zu entwickeln und auf die jeweilige Situation des Unternehmens abzustimmen. Zuvor sollte das Unternehmen jedoch eine Projektleiterlaufbahn entwerfen und in der Organisation implementieren. Diese kann von Unternehmen zu Unternehmen verschieden gestaltet sein. Sie sollte jedoch mindestens die drei folgenden Entwicklungsbeziehungsweise Karrierestufen enthalten:
• Projektteammitarbeiter: Er ist Mitglied des Projekt-teams. In dieses bringt er seine jeweilige Fachexpertise ein. Er benötigt Grundkenntnisse des Projektmanagements, um eine gemeinsame „Projektsprache“ mit den Projektkollegen zu sprechen.
• (Junior-)Projektleiter: Er leitet zum ersten Mal ein kleines oder nach mehrjähriger Erfahrung ein mittelgroßes Projekt in Bezug auf Budget und Komplexität. Die als Projektmitarbeiter gewonnenen Grundkenntnisse gilt es im Rahmen dieser Funktion zu vertiefen und mit verschiedenen Softskill-Themen zu ergänzen.
• Senior Projektleiter: Er verfügt über eine langjährige Erfahrung im Projektmanagement. Er kann komplexe Projekte oder ein gesamtes Projektportfolio managen. Aufgrund seiner Erfahrung und Persönlichkeit hat er sich über die Jahre hinweg zu einem Unternehmer im Unternehmen entwickelt.
Die Projektleiterlaufbahn soll den Mitarbeitern einen Entwicklungs- und Karriereweg neben der Fach- und Führungskräftelaufbahn eröffnen. Um gute Mitarbeiter für diese Laufbahn zu gewinnen, sollten Unternehmen diese genauso attraktiv gestalten wie die Linienlaufbahnen. Das heißt, gleiche Möglichkeiten hinsichtlich Weiterbildung, Umfang an Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung sowie Gehalt.
Die benötigten Skills gezielt vermitteln
Projektteammitarbeiter benötigen in der Regel nur ein gewisses Basiswissen in Sachen Projektmanagement – vor allem damit sie dasselbe Projektmanagement-Verständnis wie ihre Kollegen haben und mit den im Projekt verwendeten Tools arbeiten können. Anders sieht es bei Projektlei-tern aus, da sie vor komplexeren Herausforderungen stehen. Sie müssen auf das Wahrnehmen der genannten vier Rollen gezielt vorbereitet werden. Unerlässliche Trainingsinhalte sind unter anderem:
• Vertiefung des Projektmanagement-Know-hows (unter anderem Methoden, Instrumente),
• Führen in Projekten,
• Konfliktmanagement,
• soziale Intelligenz in Projekten,
• Präsentieren für Projektleiter sowie
• Besprechungen und Workshops moderieren.
Hat sich ein (Junior-)Projektleiter in verschiedenen kleinen und mittelgroßen Projekten bewährt, kann das Unternehmen ihn allmählich zum Senior Projektleiter entwickeln, der komplexe Projekte und Projektportfolios managen kann. Inhalte, die einem Projektleiter, der vor diesem Entwicklungsschritt steht, vermittelt werden sollten, sind unter anderem:
• unternehmerisches Denken und Handeln,
• Multiprojekt-Management,
• internationales Projektmanagement,
• Krisenmanagement sowie
• Vertragsrecht für Projektmanager
Generell sollten sich Unternehmen immer wieder vor Augen führen, dass für Projektleiter ebenso wie für Führungskräfte gilt: Sie fallen nicht vom Himmel, sie reifen allmählich. Und in diesem Entwicklungsprozess müssen sie gezielt unterstützt werden - gerade weil die Projekte, deren Leitung sie übernehmen, meist über den künftigen Erfolg des Unternehmens entscheiden.
Der Autor:
Dr. Georg Kraus ist Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal (Tel. 07251/989034; Mail: info@kraus-und-partner.de; Internet: www.kraus-und-partner.de). Er ist Autor des „Change Management Handbuch(s)“ (Cornelsen Verlag, 2004) sowie zahlreicher Projektmanagement-Bücher.