Mit Spanien schwächeln mittlerweile auch die Kernländer. Die Finanzmärkte verlangen deutliche Wirtschaftsreformen. Das Praxismagazin für Finanzthemen Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.

 
 
03.05.2012 15:27 Uhr
KAPITALMARKTANALYSE

Kapitalmarktanalyse Robert Halver: Euro-Krise 2.0? Nein danke!

Frankfurt a. Main/München, 03.05.2012 15:27 Uhr (Robert Halver)

Euro-Politik wie sie leibt und lebt: In den Nieder­landen sind die Gespräche zur Haus­halts­kon­so­li­die­rung geschei­tert, was Neuwahlen erfor­der­lich macht. In Frank­reich stehen die Chancen für einen fiskal­pak­tre­ni­tenten Präsi­denten gut. Und über­haupt scheinen sich die Euro-Gegner fast überall zu formieren. Es hat wohl schon bessere Umstände für die Euro­päi­sche Union gegeben.

Informationen zum Autor:
Halver Robert
Robert Halver ist Leiter der Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. Bereits seit 2012 berichtet er auf FMM-Magazin.de über die Geschehnisse an den Börsen. Baader betreut an den Börsenplätzen Frankfurt, München, Stuttgart, Düsseldorf und Berlin u.a. den Handel mit Aktien, Anleihen, Derivaten und Fonds.

Mit Spanien schwächeln mittlerweile auch die Kernländer. Die Finanzmärkte verlangen deutliche Wirtschaftsreformen. Denn über aufpolierte Standortqualitäten und eine so gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit kann letztlich ein Wirtschaftswachstum von innen heraus und damit auch eine selbstständige Schuldentragfähigkeit erzeugt werden.

Wachstum ist die entscheidende Zielgröße, auf die die Politik setzen muss. Euroland hat sich zu lange mit Spardiskussionen aufgehalten und die Wachstumsdiskussion vernachlässigt. Allerdings sollte man sich im Club Med sehr darüber im Klaren sein, dass Wachstum über Schulden ein Irrweg ist. Denn aufgrund der hohen Basisverschuldung der Länder müssten dramatische Neuverschuldungen in Kauf genommen werden, um frühere Wachstumsimpulse generieren zu können. Die keynesianischen Schuldenzeiten sind mausetot.

In Spanien zeigt sich fatal, dass eine stagnierende Wirtschaft seit 2009 - belastet durch die geplatzte Immobilienblase und die im europäischen Vergleich höchste Arbeitslosigkeit - die Staatsverschuldung hat explodieren lassen. De facto hat sie sich seit 2007 auf aktuell fast 800 Mrd. Euro verdoppelt.

Zur Abhilfe ist Spanien mit seinen Strukturreformen jedoch auf einem guten Weg. Dort wird die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes anders als in Italien - Arbeitsmarktreformen werden hier aufgrund von Zugeständnissen an die Gewerkschaften in ihrer Wirkung behindert - vorangetrieben. Länder wie Spanien brauchen aber Zeit für diese Reformen.

Die Frage ist, welche Instrumente diese Zeit kaufen können.

Der Rettungsschirm ist wie eine Tafel Schokolade
Der IWF hat sein Hilfsvolumen um ca. 325 Mrd. Euro aufgestockt, um im Ernstfall z.B. Italien und Spanien finanziell unterstützen zu können. Und auch in der Euro-Politik und bei der EZB wird bereits diskutiert, insbesondere die angeschlagenen Banken in der Euro-Südzone mit direkten Hilfskrediten zu unterstützen. Der Vorteil dieser Instrumente wäre zwar, dass sich die kreditempfangenden Euro-Staaten keinen zusätzlichen wachstumshemmenden Sparprogrammen unterwerfen müssten.

Aber abgesehen davon sorgt diese Lösung für neues Konfliktpotenzial, denn die Inanspruchnahme solcher Kredite ist mit einer gefährlichen Signalwirkung verbunden. Man spricht dem Bankensektor nicht nur die Fähigkeit zur Selbstheilung ab. Banken könnten sich auf diese „künstlichen“ Notfallmaßnahmen lange Zeit verlassen: Too big to fail. Und warum sollten sich nicht auch andere Kreditinstitute dieser Mittel bedienen und eigene Anstrengungen schleifen lassen. Das eigentliche Ziel der fundamentalen Neuausrichtung würde nicht erreicht.

Ohnehin ist es mit dem Rettungsschirm wie mit einer Tafel Schokolade. Ist sie erst einmal geöffnet, ist sie auch schnell verspeist. Dies gilt umso mehr, wenn auch größere Länder diese Mittel für ihre nationalen Banken abrufen. Der Rettungsschirm könnte also schnell zu klein werden. Und Aufstockungen finden immer weniger Akzeptanz bei den Bevölkerungen der Geberländer.

Es ist sicherlich richtig, dass der Rettungsschirm zur Abschreckung vorhanden ist. Konkret in Anspruch nehmen sollte man ihn aber tunlichst nicht. Und auch der vielstimmige Chor, der darüber kakophonisch diskutiert, sollte verstummen. Der Rettungsschirm ist ein politisch-bürokratisches Monstrum, das nicht geeignet ist, auf Kapitalmarktentwicklungen adäquat zu reagieren.

Die Rettung über die EZB bleibt der Königsweg
Wenn schon die prekären Euro-Länder unterstützt werden müssen, dann sollte man das mit dem durchschlagskräftigsten Instrument tun, das zur Verfügung steht. Das ist die EZB, die als Profi an den Kapitalmärkten direkt für Ruhe an den euroländischen Staatsanleihemärkten sorgen kann, um damit Problemländern den Refinanzierungsdruck zu nehmen und die nötige Zeit für den Reformprozess zu kaufen. Allein die Gewissheit, dass die EZB unbegrenzt an den Anleihemärkten intervenieren kann, führte bereits zu einer Marktberuhigung. Würde sie konkret Renditebarrieren festlegen, wäre das Problem handhabbar. Denn über weniger riskante Staatsanleihen würden sich auch die Risikopositionen der Banken verringern, was letztlich ebenso deren Kreditvergabe begünstigen würde.

Man mag einwenden, dass wir hier im Vergleich zur Politik der Bundesbank monetäre Anarchie betreiben. Ja, aber leider ist eine grundsätzlich zu bevorzugende stabilitätsorientierte Geldpolitik ein Luxusprodukt, das wir uns zumindest momentan in den schwierigen Zeiten nicht erlauben können.

Konjunkturpessimismus wird Realität
Aktuell zeigen sich die konjunkturellen Gewitterwolken über der Eurozone ganz konkret im Einkaufsmanagerindex für das euroländische Verarbeitende Gewerbe, der sich aktuell mit einem Wert von 46 deutlich unter der Expansion anzeigenden Schwelle von 50 bewegt und erwarten lässt, dass das II. Quartal das wirtschaftliche Enfant Terrible unter den Quartalen dieses Jahr wird, bevor es anschließend gemäß den Prognosen wieder bergauf geht.

Für Besserung spricht, dass sich das globale Konjunkturumfeld stabilisiert. In Frankreich liegt der Einkaufsmanagerindex mit einem Wert von 47,3 zwar ebenfalls unter der Schwelle von 50, ist aber bereits wieder aufwärtsgerichtet und befindet sich deutlich über dem euroländischen Gesamtwert.

Unklare deutsche Konjunktureinschätzungen
In der Einschätzung der deutschen Konjunktur ist zuletzt je nach Indikator eine breite Streuung, wenn nicht sogar Dichotomie erkennbar. Während der Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe eine verhaltene Wirtschaftsentwicklung signalisiert, deuten die Prognosen der vom ZEW befragten Analysten und die Konjunktureinschätzungen der deutschen Unternehmen im Verarbeitenden Gewerbe gemäß ifo Institut deutlich auf wirtschaftliche Expansion hin. Im Zweifel sollte man den deutschen Einschätzungen, die näher an der nationalen Konjunkturfront sind, mehr Bedeutung beimessen.

Denn Unterstützung erhält die euroländische Konjunkturerholung weiter von einer Dynamisierung des Exports. Der nach notenbankseitiger Liquiditätsoffensive vergleichsweise schwächere Euro - gemessen gegenüber den fünf wichtigsten Handelswährungen im Vorjahresvergleich, setzt wichtige Aufschwungsimpulse.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die zuletzt veröffentlichten, enttäuschenden Wirtschaftsdaten aus Euroland belastend für den euroländischen Aktiemarkt ausgewirkt haben. Gemessen am Economic Surprise Indicator für Euroland, der die Analystenerwartung den tatsächlichen Konjunkturdaten gegenüberstellt, lässt das positive Überraschungsmoment eindeutig nach.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich die zuletzt veröffentlichten, enttäuschenden Wirtschaftsdaten aus Euroland belastend für den euroländischen Aktiemarkt ausgewirkt haben. Gemessen am Economic Surprise Indicator für Euroland, der die Analystenerwartung den tatsächlichen Konjunkturdaten gegenüberstellt, lässt das positive Überraschungsmoment eindeutig nach.

Berichtsaison im Trend nicht enttäuschend
Demnach dämpfen die zuletzt schwächeren makroökonomischen Daten und der Gegenwind der europäischen Staatsschuldenkrise den Risikoappetit der Anleger und behindern die Sicht auf die grundsätzlich positive konjunkturelle Großwetterlage der Weltwirtschaft und das üppige geldpolitische Umfeld.

Die aktuelle Berichtsaison der Unternehmen für das I. Quartal unterstreicht diese fundamentale Stärke. Gemessen am S&P 500 konnten bislang gut 75 Prozent der bisher berichteten US-Unternehmen die Analysteneinschätzungen übertreffen.

Der IT-Konzern Apple konnte vor allem dank der starken Nachfrage aus China den Absatz von iPhone und iPad um 88 bzw. 151 Prozent steigern und damit einen Nettogewinn von 11,6 Mrd. US-Dollar erzielen, eine 93-prozentige Steigerung zum Vorjahresquartal. Man geht von einer Verstetigung dieser Entwicklung aus.

Und auch der weltgrößte Baumaschinenhersteller Caterpillar überzeugt und glänzt mit einem Nettogewinn von 1,6 Mrd. US-Dollar, knapp ein Drittel mehr als im Vorjahr. Treibende Kraft hinter den Gewinnen ist die starke Nachfrage aus der weltweiten Bergbaubranche sowie die Erholung auf dem US-Markt, die das Unternehmen sogar dazu veranlasst, seine Gewinnprognose für das aktuelle Geschäftsjahr anzuheben.

Und auch in Deutschland nimmt die Berichtsaison Fahrt auf. Von den DAX-Unternehmen, die bisher ihre Ergebnisse vorlegten, konnten 60 Prozent positiv überraschen.

Siemens enttäuschte die Analystenerwartungen nur auf den ersten Blick. Zwar wurde die Gewinnprognose für das aktuelle Geschäftsjahr aufgrund von Anbindungsproblemen der Nordsee-Windparks gesenkt und mit einem Rückgang der Auftragseingänge bekommt man auch die Auswirkungen der Euro-Krise zu spüren. Allerdings sieht man für das Gesamtjahr den Auftragseingang auf Kurs, was nicht zuletzt an dem anhaltenden Wachstum in den Schwellenländern liegt.

Der Chemieriese Bayer übertrifft die Analystenerwartungen mit einer Nettogewinnsteigerung um ca. 16 Prozent auf 1,4 Mrd. Euro dank eines starken Agrargeschäfts, insbesondere in Amerika.

Und auch Europas größter Autobauer VW schnitt besser ab als erwartet und profitiert damit von der starken außereuropäischen Automobilnachfrage, die den operativen Gewinn im Jahresvergleich um gut zehn Prozent auf 3,2 Mrd. Euro steigerte. Der Ausblick bleibt ebenfalls stabil.

Die Zeiger stehen auf Aktien
In der letzten Ausgabe des Kapitalmarkt-Monitors haben wir die idealtypische Investment-Uhr vorgestellt, die sich grundsätzlich am Konjunktur- und Inflationstrend orientiert. Es ist zwar vergleichsweise schwer zu bestimmen, ob wir uns weltwirtschaftlich in einer Aufschwung- oder Boomphase befinden. Sicher ist aber, dass das aktuelle Konjunkturumfeld für Aktien spricht.

Denn die Unternehmensgewinne zeigen sich stabil und auch geldpolitisch ist erst einmal nicht mit der Gefahr steigender Notenbankzinsen zu rechnen. Auch wenn die US-Notenbank ihre Wachstumsprognose für 2012 auf nun 2,4 bis 2,9 Prozent anhob und auch den Arbeitsmarkt freundlicher einschätzt, bleibt das Niedrigzinsumfeld der Fed noch bis weit in das Jahr 2014 erhalten. Und die EZB kann mit Blick auf die finanzwirtschaftlichen Probleme ohnehin keine geldpolitische Restriktion fahren.

Innerhalb der Aktienklasse bleibt eine ausgewogene Mischung aus anzuraten.

Denn von der Dynamik der Weltwirtschaft und speziell den nachfragestarken Schwellenländer gehen dabei bedeutende Impulse für beide Branchengruppen aus. Von der Etablierung einer nachfragestarken Mittelschicht profitieren gewinnseitig nicht nur die typischen Industrie- und Technologiewerte der westlichen Welt.

Daneben profitieren die sogenannten Defensivwerte, die sich in den typischen Markennamen der westlichen Welt finden. Und gerade diese Werte zahlen auch eine vergleichsweise hohe Dividende. Diese sollte ohnehin nicht unterschätzt werden. Denn vergleicht man den reinen DAX- mit dem allseits bekannten DAX Performance-Index zeigt sich eine klare Renditeüberlegenheit - seit Etablierung des DAX seit 1987 - in Höhe von 2,5 Prozentpunkten.

Einschätzung Deutscher Aktienmarkt
Auch die positiven Unternehmensergebnisse konnten nicht verhindern, dass der DAX unter die charttechnisch wichtige Marke von 6720 Punkten fiel. Die 6650 Punkte haben sich jedoch als solide Unterstützung erwiesen. Sollte auch sie unterschritten werden, ist mit weiteren Kursverlusten bis zur Aufwärtstrendlinie bei rund 6415 und der darunter liegenden 200-Tage-Linie bei aktuell 6228 Zählern zu rechnen.

Sollten die Bullen im DAX allerdings die Marke bei 6720 Punkten zurückerobern, liegt die nächste Hürde bei 6835 und darüber bei 6900 Zählern. Darüber treten Kursgewinne bis in den Bereich der 6950 Punkte-Marke in den Vordergrund.

Bezogen auf Weltwirtschaft und Geldpolitik, die jederzeit ihre konjunkturelle und finanzwirtschaftliche Unterstützung steigern können, sind die Aussichten für den DAX bis zum Jahresende grundsätzlich positiv. Kritisch bleibt aber der politische Umgang mit der Euro-Krise. Es ist selbstverständliche Bringschuld der Euro-Politik, eine Wiederholung der hausgemachten Konflikte wie im II. Halbjahr 2011 zu verhindern.

Und was passiert in der nächsten Woche?
In Amerika legen der ISM Index für das Verarbeitende Gewerbe sowie die Auftragseingänge in der Industrie eine Verschnaufpause ein und zeigen sich leicht rückläufig. Das Gesamtbild bleibt allerdings weiter auf Wachstum ausgerichtet.

Und auch in China deutet der Einkaufsmanagerindex auf eine anhaltend positive Konjunkturentwicklung hin.

Auf Mikroebene findet ein wahres Bombardement an Veröffentlichungen von Quartalszahlen statt. Allein zehn Werte aus dem DAX, darunter der Maschinenbauer Linde, die Deutsche Lufthansa, BMW, Adidas, Infineon und Beiersdorf legen ihre Zahlen vor.

Der Autor dieses Artikels ist Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank AG. www.Baadermarkets.de

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