Aktienwerte | Die Auswirkungen von Disruption und Storytelling
FrankfurtMain/London, 04.03.2016 18:58 Uhr (Gastautor)
Niemand spricht mehr offen über die sogenannte Click-Ratio. Dafür entwickelt sich Disruption immer schneller zum Modewort der Stunde. Welche Auswirkungen das auf Aktienwerte hat.
In den letzten 30 Jahren ist am britischen Aktienmarkt die Kluft zwischen outperformenden Wachstumswerten und unterdurchschnittlich abschneidenden Substanzwerten noch nie so groß gewesen wie heute. Basierend auf der Performancehistorie des MSCI World Value Index gegenüber dem MSCI World Growth Index, war laut Analysen von Morgan Stanley eine solche Kluft zuletzt während der Dotcom-Blase Ende der 1990er-Jahre zu beobachten. Ein Marktkommentar von James Clunie, Head of Strategy, Absolute Return bei Jupiter Asset Management.
Der Wert einer guten Story
Das Faszinierende an den jüngsten Phasen dieser Anomalie ist die Rolle, die das Storytelling bei der Bewertung wachstumsstarker Glamour-Aktien zu spielen scheint. Die Wertentwicklung, die der S&P 500 im vergangenen Jahr gezeigt hat, verdeutlicht dieses Phänomen. Der Index durchlief 2015 aufregende Zeiten und schaffte es dabei gerade einmal auf ein Plus von 1,4 Prozent (inklusive Dividenden). Für zahlreiche Sektoren, besonders jene mit Exposure auf den Rohstoffmärkten, war es ein miserables Jahr. Gerettet werden konnte der S&P 500 jedoch von einer kleinen Gruppe wachstumsstarker Internettitel, die als FANG (steht für Facebook, Amazon, Netflix und Google) und die Nifty Nine bekannt sind, sowie einer Reihe von Biotech-Werten.
Renditen von 100 Prozent und mehr waren bei einigen dieser Unternehmen zu beobachten, was in der Tat auf ein bullishes Umfeld hindeutet. Angesichts des spärlichen Wirtschaftswachstums und extrem niedriger Zinsen suchte der Markt bereitwillig Titel mit optimistischen Wachstumsstrategien, einer hohen Verschuldung, regelmäßigen Akquisitionen sowie einer Tendenz, für Aktienrückkäufe auf ihre Cashflows zurückzugreifen. Es handelt sich dabei um eine alles in allem verlockende, jedoch nicht selten auch kurzsichtige Taktik. Sie könnte sich im Hinblick auf eine bessere Profitabilität und höhere langfristige Aktionärserträge als schlechte Kapitalverwendung erweisen. Der Erfolg dieser kleinen Gruppe von Unternehmen wurde noch zusätzlich durch technische Faktoren unterstützt, wie etwa den Zyklus von Zuflüssen in Wachstumsfonds, einschließlich ETFs.
Das Wachstum einiger Unternehmen ist sicherlich beeindruckend. Die Bereitschaft des Marktes, Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) zu unterstützen, die bei einer Reihe dieser Titel in die Hunderte gehen, spricht jedoch noch für einen weiteren wichtigen Bestandteil ihres letztjährigen Kurserfolgs: das Storytelling.
Aus behavioristischer Sicht scheint Storytelling, an dem die Managementteams von Unternehmen, Broker und Investoren beteiligt sein können, eine zunehmend bedeutende Rolle als Bewertungstreiber zu spielen. Dabei werden Niveaus erreicht, die sich durch die üblichen Bewertungskennzahlen nur noch schwer rechtfertigen lassen.
Verhältnis von Aktienkurs zu Disruptionspotenzial
Netflix und Tesla Motors sind zwei erstklassige Beispiele für Unternehmen mit disruptiver Technologie, die dafür eine gewisse Marktprämie verlangen. Netflix steht sinnbildlich für jene Sorte glamouröser Wachstumsaktien, die derzeit stark nachgefragt sind. Mit seinem Streaming-on-Demand-Dienst und exklusiven Programmangeboten hat sich das Unternehmen auf dem TV-Markt als disruptive Kraft etabliert. Laut Reuters notiert der Titel aktuell mit einem KGV von 285, während der Sektor ansonsten durchschnittlich ungefähr auf ein KGV von 16 kommt (1). Auf diesem Niveau erwartet der Markt ein exponentielles Abonnementen-Wachstum sowie eine uneingeschränkte Umsetzung der Geschäftsstrategie. Risiken wie höhere Content-Kosten oder ein stärkerer Konkurrenzdruck seitens Unternehmen wie Amazon und YouTube sind dagegen kaum eingepreist. (1) Stand: 13. Januar 2016
Der Hersteller von Premium-Elektroautos Tesla, der nebenher noch Energiespeicher anbietet, hat es in den letzten Jahren trotz der Unzulänglichkeiten seines kapitalintensiven Wachstumsmodells ebenfalls zum Anlegerliebling gebracht. Hinter diesem Titel steht die Disruption als sehr wirksame Story, die die Anleger die mangelnde Profitabilität des Unternehmens, seinen wachsenden Schuldenberg und die noch unvollständige Produktpalette scheinbar völlig vergessen lassen. So löste etwa die Einführung der Akkusparte ein Kursfeuerwerk aus, obwohl die Wirtschaftlichkeit des Produkts aus Verbrauchersicht eher fraglich ist.
James Clunie - Jupiter Asset Management
Keine Chance auf Misserfolg
Es ist wichtig, hier eine klare Unterscheidung zu treffen: Das Problem, das im High-Growth-Segment des Marktes gerade zu beobachten ist, scheint per se eher ein Kurs- als ein fundamentales Risiko zu sein. Bei einigen der wachstumsstarken Unternehmen könnte sich der Erfolg letztendlich einstellen. Ihren Aktienkursen zufolge ist dieser Erfolg für den Markt aber scheinbar bereits eine ausgemachte Sache. Die Möglichkeit eines Scheiterns oder zumindest zeitweiliger Probleme ist somit gar nicht erst eingepreist.
Dabei wissen diese Unternehmen durchaus, was Misserfolg ist, wie beispielsweise SunEdison. Hier waren wir 2015 aufgrund generell überzogener Wachstumspläne und ausufernder Schulden short positioniert. Als der Markt sich drehte, brach der Kurs der Aktienkurs von 34 auf acht US-Dollar ein. Auf diesem Niveau war dann auch unsere Short-Position vollständig eingedeckt. Zwischenzeitlich notierte die Aktie sogar nur noch bei drei bis sechs US-Dollar.
Neubewertungsrisiko als Konsequenz?
Das Storytelling an den Märkten steht in engem Zusammenhang mit dem Risikoappetit und kann zu langen Phasen führen, in denen die Kurse losgelöst von Fundamentaldaten agieren. Im vergangenen Jahr sorgten einige Vorfälle dafür, dass die Anleger das Vertrauen in manche der dominierenden Storys verloren haben. Es waren Geschichten, die die Aktienmarktrally von 2009 bis dato angetrieben hatten und die Wirksamkeit der Zentralbankpolitik hinsichtlich Wachstumsstimulierung und Stabilisierung unterstrichen. Oder wie im Falle Chinas, wonach die politisch Verantwortlichen einen glatten Übergang von einem investitions- und exportgetriebenen zu einem konsumgestützten Wirtschaftsmodell arrangieren würden. Diesen Vertrauensverlust bekamen einige Sektoren deutlich zu spüren, allen voran die Rohstoffe. Die FANGs und andere ähnliche Wachstumstitel hingegen vermittelten den Eindruck, dass sie irgendwie immun gegen die makroökonomischen Entwicklungen sind. Vor dem Hintergrund fehlenden Wachstums gruppierten sich sehr viele Anleger um diese kleine Gruppe von Assets.
Ausgehend von historischen Marktdaten scheint es sich bei dem Growth-Value-Gefälle um eine statistische Anomalie zu handeln, die nicht unbegrenzt anhalten kann. Während das fundamentale Risiko gering erscheint, ist das Kursrisiko bei Wachstumstiteln in vielen Fällen hoch. Bei unserem Versuch, der Entwicklung dieser Anomalie zu folgen, haben wir die Ökologie des Marktes sehr genau im Blick – und hier speziell auch das Verhalten der Manager von Wachstumsaktienfonds. Schließlich können Zuflüsse in diese Fonds das ohnehin schon beträchtliche Gefälle weiter vergrößern. Abflüsse hingegen könnten darauf hindeuten, dass sich die Story ändert: Die Anleger verlieren das Vertrauen in die erzählte Geschichte, die diese Wachstumsaktien zuvor noch auf extreme Bewertungsniveaus gehoben hatte.
Gegen den Strom schwimmen
Für Long-Short-Anleger hat dieses Phänomen jede Menge Opportunitäten eröffnet, um bei einzelnen Titeln short zu gehen. Wir bemühen uns weiterhin Long sowie Short Opportunitäten ausfinding zu machen, wo sie sich ergeben. Wohlmöglich, wenn sich die aktuelle Lage – die aktuelle Story – entspannt. Das bisherige Verhalten der Märkte Anfang 2016 könnte den ersten Anhaltspunkt dafür geliefert haben.
(Quelle: Jupiter Asset Management / INSTINCTIF PARTNERS)
Disclaimer
Veröffentlichungen und Mitteilungen über Finanzprodukte und Kapitalmarktanalysen dienen der Informationsgebung, entweder durch Dritte oder durch eigene Beschreibungen. Die hier aufgeführten Äußerungen, Analysen und Produktbewertungen sind ausschließlich Meinungen und Ansichten des Herausgebers bzw. Produktgebers. FMM-Magazin.de führt keine Finanzberatung durch, ruft nicht zum Erwerb oder zum Verkauf von Anlageprodukten oder Wertpapieren auf. Interessierte Anleger sollten sich grundsätzlich Emissions-/Produktprospekte genau anschauen. Die Aufsichtsbehörde für das Versicherungs- und Finanzwesen ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in Bonn.
Finanzen Aktien
* Bitte halten Sie sich an die Netikette und vermeiden persönliche Anschuldigungen, Beleidigungen und Ähnliches. Verbreiten Sie außerdem keine Unwahrheiten, Vermutungen, Gerüchte sowie rufschädigende oder firmeninterne Informationen. Beachten Sie die Rechte Anderer und urheberrechlich geschützter Quellen. Bei rechtlichen Verstößen haften Sie in vollem Umfang. Aus diesem Grund sind wir gezwungen, Ihre IP-Adresse und Ihren Provider zu speichern. Mit dem Speichern Ihres Kommentars erklären Sie sich mit diesen Regelungen einverstanden.
- BaFin ordnet Moratorium bei der North Channel Bank an
- Notenbank crasht Aktien | Anlegerprofis kaufen jetzt und machen Rendite
- Finanzen News | Robert Halver Analyse zum Aktienmarkt
- Robert Halver Aktienmarkt Analyse und Charttechnik DAX
- Investment Themen | Perspektiven für Börsen und Aktien in 2022
Onlineausgabe des Printmagazins Finanzen Markt & Meinungen.
Portalsystem 2024 © FSMedienberatung